Er pflegt die verwundeten Seelen
Notfallseelsorger: „99 Prozent der Feuerwehreinsätze sind Routine, der Rest ist saumäßig heftig“
Kernen-Stetten/Winnenden. Ein promovierter Theologe als Feuerwehrmann ist selten. „Man muss das mögen, und ich mag’s“, sagt Dietrich Hub. „Man muss sich auf das Milieu einlassen können. Und es tut gut zu sehen, dass es auch was anderes gibt.“ Hub, früher Pfarrer, nun Mitarbeiter der Paulinenpflege, sitzt, die Hände gefaltet, in der Uniform im Gerätehaus in Kernen. Er ist Notfallseelsorger.
Der 45-jährige Dietrich Hub, der bis Juli 2009 elf Jahre als Pfarrer der evangelischen Luther-Kirchengemeinde in Fellbach vorstand, kennt den Feuerwehralltag von innen. Er gehörte der Jugendfeuerwehr in seiner Heimatgemeinde Albstadt-Ebingen an. Wie seine Amtskollegen im Kreis leistete er als Pfarrer zwei Wochen pro Jahr Notfallseelsorge. Hubs Einsatzort waren Wohnzimmer von Familien, denen er die schreckliche Nachricht vom
Tod eines Angehörigen überbringen musste. Todesursache: Unfälle, oft Selbstmorde. In solchen Situationen zählten Erfahrung und seelsorgerische Kompetenz, Empathie für die Trauernden und die Gnade eines gelungenen ersten Kontakts, sagt Dietrich Hub. Er bestellte Beerdigungen. Aber er spendete kaum Trost, wenn Hinterbliebene sein Angebot zurückwiesen. „Beim Pfarrer geht man davon aus, dass er’s kann.“ Und beim Amoklauf in Winnenden stellte er es unter Beweis. Hub wurde per Zufallsprinzip als Betreuer zugeteilt, traumatisierten Schülern, dann der Familie eines Opfers.
„Winnenden war das Heftigste, was ich erlebt habe“, sagt der Theologe. „Ich hab’ ja nie gedacht, dass ich mal bei einer Gewalttat eingesetzt würde. So was lag für mich weit weg: Frankfurt oder Hamburg.“
Als Dietrich Hub den Fellbacher Pfarrdienst quittiert hatte, um als Öffentlichkeitsreferent für die Paulinenpflege Winnenden sein Know-how als Kommunikationswirt einzusetzen, zog er 2009 mit Frau, Kind und Kegel nach Rommelshausen. Er trat der Feuerwehr Stetten bei. Im September 2009 übernahm der Notfallerprobte das Amt des „Fachberaters Seelsorge“, zuständig für die Unterstützung von FeuerwehrkameradInnen nach einem extrem harten Einsatz. „Bei der Feuerwehr denkt man an Pumpe und Schlauch, aber das ganze Drumherum ist genauso belastend“, sagt er. Anfangen bei grimmiger Kälte in Winternächten („da friert man saumäßig“), Spannungen in der Familie, die auftreten, wenn der Gatte mitten in der Nacht herausgeklingelt wird, bis hin zum traumatisierenden Schockerlebnis bei einem Verkehrsunfall.
Bei Vollalarm ist Dr. Hub als Feuerwehrmann immer dabei. Wenn dann bei kleineren Einsätzen die Feuerwehr zu einem Verkehrsunfall geholt wird, gibt es in
der Regel Verletzte. Manchmal sind es dramatische Rettungsaktionen, in deren Verlauf sich der Anblick geborgener Unfallopfer oder das Auflesen von Leichenteilen auch erprobten Rettungskräften wie Blei auf die Seele legt. „Dann kann ich von der Leitstelle als Notfallseelsorger gerufen werden“, sagt Seelsorger Dr. Hub. Das sind Hilferufe.
Er selbst hat noch keinen Autounfall erlebt. Doch der Löscheinsatz im Haus Neukamm in der Hindenburgstraße ging auch an dem 45-Jährigen nicht spurlos vorüber. Die Nacht war eiskalt. Als die Flammen von der Remise aufs Wohnhaus übergriffen, musste die Feuerwehr kämpfen – bis in die Morgenstunden. Die Bewohner, darunter Kinder, wurden ausquartiert. „Das beschäftigt einen schon“, sagt der Feuerwehrmann. „Ich hab’ ja drei Kinder. Da würde für mich jeglicher Spaß aufhören.“
99 Prozent der Feuerwehrtätigkeit seien Routine, weiß der Notfallhelfer. „Aber das restliche ein Prozent ist saumäßig heftig.“
Quelle: Waiblinger Kreiszeitung 20.01.2011